Offen lieben: 7 Learnings aus meiner eigenen Beziehungsreise

Als mein Partner und ich anfingen, offen zu lieben, ging es um Sex, Abenteuer und darum, mehr zu erleben. Ich wollte mich nicht mit dem Gedanken zufrieden geben, dass meine Ziele (Job, Kind und Ehemann) nun abgehakt sind und mein Alltag mein Leben bestimmen würde.

Also war ich auf der Suche nach “diesem Gefühl”, dass ich nicht weiter beschreiben konnte. Das Kribbeln und die Aufregung, die ich beim Kennenlernen mit meinem Mann damals spürte, beschreiben es vermutlich ganz gut.

Polyamorie; offene Liebe, offene Beziehung

Schon seit dem ersten Besuch im Swingerclub weiß ich, dass mir dieser Schritt in die Welt der modernen Beziehungen noch viel mehr gab als Abenteuer. Es ging darum mich selbst kennenzulernen, zu spüren, mich auszusprechen, zu offenbaren und Bedürfnisse nicht mehr zu verstecken.

Es ging darum, zu lernen, zuzuhören, ohne sofort dicht zu machen, meine Angst anzusehen, ohne sie wegzudrücken und zu verstehen, wie ich an meiner Eifersucht wachsen kann.

Offen zu lieben hat mich verändert und für all die Entwicklungen und Erfahrungen bin ich unfassbar dankbar.

Dadurch wurden mir meine tiefsten Muster gespiegelt, was es mir möglich machte zu lernen, was Liebe wirklich bedeutet, was sie mit Freiheit zu tun hat und was ich will und brauche.

Und über all diese Learning möchte ich heute schreiben.

Was ich wirklich gelernt habe, seit ich offen liebe

1. Wie wichtig es ist, Bedürfnisse auszusprechen

Manchmal fällt es uns unglaublich schwer zu sagen, was wir uns wünschen. Wir wollen nicht zu viel sein und niemanden verletzten bzw. vor den Kopf stoßen. Die Angst vor der Reaktion unseres Partners hemmt uns und wir schweigen letztendlich. Gleichzeitig sind wir natürlich unzufrieden, da Wünsche und Bedürfnisse offen bleiben oder tun so, als wäre das alles völlig normal.

Vielleicht kennst du diesen Moment: Du fragst dich, warum dein Partner gerade nicht von selbst sieht, was du gerade brauchst. Du bist enttäuscht darüber und dennoch… Das stille Hoffen, dass der Partner die eigenen Bedürfnisse intuitiv spürt, bleibt.

Aber irgendwann habe ich mich gefragt, warum ich eigentlich erwarte, dass jemand meine Gedanken lesen kann. Das mag in Filmen funktionieren, aber nicht im echten Leben.

Die Erkenntnis erschien mir zunächst traurig. Denn ich dachte, gerade das sei Verbindung, Seelenverwandtschaft und Romantik.

Aber je mehr ich zu meinen Bedürfnissen stand und lernte sie zu benennen und zu kommunizieren, desto leichter fühlte ich mich. Es tat richtig gut zu sagen, was in mir ist. Zu sagen, dass ich einen Swingerclub besuchen möchte, dass ich jemand anderes küssen möchte oder dass ich mehr als nur eine einzige tiefe Verbindung im Leben suche.

Das hat etwas mit Selbstwert zutun. Herauszufinden, was ich will und hinter mir selbst zu stehen, hat meinen Selbstwert enorm nach oben katapultiert.

2. Zuzuhören, ohne sofort in Abwehr zu gehen

Zugegeben, ich übe noch. Doch ich habe das Bewusstsein dafür entwickelt, dass ich aus Gewohnheit Beziehungsgespräche oft als “Angriff” an meiner Person werte. Bewusstsein ist immer der erste Schritt zur Veränderung.

Wir sind alle sehr gut im Interpretieren und so auch ich: Wenn mein Partner einen Wunsch äußerte, hörte ich gar nicht wirklich was er sagte. Das, was bei mir ankam war immer etwas über mich. Etwas wie “Du hast etwas falsch gemach” oder “Du bist schuld”. Dabei sagte er “Ich fänd es schön, wenn….”.

Mein Kopf erzählte mir aber eine Geschichte darüber, warum mein Partner das Gesagte wohl schön fänd und was das über mich aussagt.

In offeneren Beziehungen wird oftmals mehr über Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle gesprochen als in monogamen Beziehungen. Ohne eine herausragende Kommunikationsfähigkeit ist offen lieben einfach schwierig – milde ausgedrückt.

Durch die vermehrten Gespräche und die intensive Kommunikation habe ich gelernt, dass nicht alles gleich ein Angriff auf mich ist. Bedürfnisse meines Partners resultieren nicht daraus, dass ich nicht genug bin oder etwas falsch gemacht hat habe. Ich bin nicht der Mittelpunkt der Welt und es dreht sich nicht alles um mich. Ich habe keinen Grund mich ständig angegriffen zu fühlen.

Stattdessen geht es beim Zuhören dabei, dass ich meinem Partner Raum gebe, ihn sehe und besser verstehen möchte. Eine Abwehrhaltung bringen mich und ihn dabei ganz und gar nicht weiter.

3. Dass Freiheit und Bindung kein Widerspruch sind

Im Gegenteil sogar. Für mich nähren sie sich gegenseitig. Ich möchte nichts von beidem mehr missen.

Früher war mir nicht bewusst, dass ich weiterhin frei sein kann, wenn ich in einer festen Beziehung bin. Ich habe daher meinen Sehnsüchten hinterher gehangen, Fehltritte gehabt und mich gefragt, wieso ich nicht fähig bin glücklich mit dem zu sein, was ich habe.

Heute würde ich Freiheit und Bindung nicht mehr trennen. Denn eine wahrhafte Bindung zu meinem Partner fühle ich nur vollumfänglich, wenn ich frei bleibe. Und Freiheit genießen kann ich nur deshalb, weil ich eine Bindung habe, die mir so viel bedeutet und so viel gibt.

4. Dass Lust auf lange Sicht das Gefühl von Fülle vorraussetzt

In vielen Beziehungen lässt die Lust nach der Verliebtheitsphase nach. Der anfängliche Hormonrausch klingt ab, und das gesteigerte sexuelle Verlangen gegenüber dem eigenen Partner wird schwächer.

Auch ich hatte immer wieder Phasen, in denen ich monatelang kaum sexuelles Bedürfnis verspürte. Manchmal lag es an Stress oder Erschöpfung, manchmal an Unzufriedenheit im Alltag und oft wusste ich einfach gar nicht, woran es lag.

Ohne es zuvor benennen zu können, hatte ich plötzlich genau das gefunden, wonach ich mich unbewusst gesehnt hatte: eine Beziehungsdynamik, die sich stimmig anfühlt und mich erfüllt. Dieses Gefühl von Freiheit und Echtheit brachte meine Lust zurück. Es war etwas, das mir lange gefehlt hatte – und es veränderte alles.

Durch ein offeneres Beziehungsleben fand ich Stück für Stück zu mir selbst zurück. Und genau das ermöglichte es mir, meine eigene Lust wiederzuentdecken.

5. Dass Gefühle für verschiedene Menschen gleichzeitig existieren können ohne sich gegenseitig zu bedingen

Für monogam denkende Menschen ist das eine schwer nachvollziehbare Aussage. Ich hätte sie vor ein paar Jahren auch nicht geglaubt. Vielleicht ist das eine dieser Dinge im Leben, die eine Selbsterfahrung benötigen, bevor sie nachvollzogen werden können.

Das schöne daran ist, dass es einem auch ein Stück weit die Angst nimmt. Die Angst, dass Gefühle für andere Menschen die Partnerschaft kaputt machen könnten. Aber niemand wird jemals meinen Partner ersetzen können. In meiner Wahrheit ist alles immer ein Plus. Ein “Mehr” an schönen Gefühlen und einzigartigen Verbindungen.

6. Dass mehrere Verbindungen bereichernd sind, aber nicht immer leicht integrierbar

Es ist schön zu erfahren, dass Verbindungen zu verschiedenen Menschen erlaubt sind und keine Bedrohung darstellen. Verschiedene emotionale Bindungen zu haben ist zwar bereichernd, doch auch nicht immer leicht. Kommen mehr als zwei Menschen sowie deren Interessen, Bedürfnisse und Gefühle zusammen, ist es nicht immer leicht alles unter einen Hut zu bekommen.

Als ich anfing eine intensivere Bindung für einen anderen Mann aufzubauen, verstärkte sich allmählich das Bedürfnis ihn öfter zu sehen, als es bisher der Fall war. Ich wünschte mir mehr als ein Treffen im Hotel alle paar Wochen. Die Situation passte für mich nicht mehr ganz zu meinen Gefühlen. Doch hier kommen unserer Partner und deren Gefühle ebenfalls ins Spiel. Das bedarf sehr viel Kommunikation.

Nicht zu verachten ist auch die Zeit. Zeit ist begrenzt. Wie legt man fest, wie oft und in welchem Rahmen der eine in dieser Beziehungskonstellation Zeit mit dem anderen bekommt? Wo sind die Prioritäten? Wo die Grenzen?

Mein Learning ist, dass viele schöne Gefühle für verschiedene Menschen zwar toll sind, aber sie bringen auch weitere Bedürfnisse ans Licht, für die ein hohes Beziehungsmanagement nötig ist.

7. Das komplexe Beziehungen nur funktionieren, wenn alle bereit sind zu wachsen

Herausforderungen in Beziehungen sind nichts Schlechtes. Sie zeigen uns lediglich, wo Wachstum möglich ist. Oft stehen sie wie eine Tür zwischen dir und dem, was du dir wünschst. Du hast dann zwei Möglichkeiten:

  1. Du bleibst vor der Tür stehen. Du sagst dir: „Das ist mir zu viel, das kann ich nicht.“ Dann drehst du dich um und gehst zurück in das, was du kennst. Du bist sicher, aber dein Wunsch bleibt hinter dieser Tür. Unerreicht.
  2. Oder du gehst hindurch. Du stellst dich der Herausforderung, Schritt für Schritt. Und während du das tust, veränderst du dich. Du wächst genau in die Person hinein, die das leben kann, was du dir wünschst.

In einer Beziehung kann es passieren, dass einer diesen Weg schneller geht als der andere. Das ist nicht schlimm, denn Unterschiedlichkeit ist normal. Problematisch wird es erst dann, wenn einer stehen bleibt und gar nicht bereit ist, sich zu bewegen. Wachstum braucht nicht das gleiche Tempo, aber die gleiche Bereitschaft.

Die Wahrheit über offene Liebe

Am Ende geht es beim offenen Lieben nicht um Modelle, Regeln oder Freiheit. Hinter all diesen Learnings steht für mich etwas Wichtigeres. Es mag abgedroschen klingen, aber ich kann es nicht anders sagen:

Offen zu lieben bedeutet vor allem, sich selbst offen zu begegnen. Dabei geht es darum, wer wir werden, wenn wir uns entscheiden, die Wahrheit über uns selbst nicht mehr zu verstecken.

Ich habe gelernt, dass Freiheit nicht leicht ist. Ich habe gelernt, dass Ehrlichkeit Mut kostet. Ich habe gelernt, dass Liebe nicht weniger wird, wenn ich sie teile, sondern dass ich selbst mehr werde, wenn ich sie nicht mehr bergrenze.

Offen zu lieben hat mich nicht nur “freier” gemacht. Es hat mich ehrlicher, bewusster und menschlicher gemacht.

Wenn es etwas gibt, das ich aus den Jahren offenen Liebens mitgeben möchte, dann ist es dies:

Offene Beziehungen sind kein Heilmittel gegen alte Muster. Aber sie sind eine Einladung, die Verantwortung für die eigene Liebe neu zu definieren. Sie öffnen Türen zu Tiefe, Wachstum, Klarheit (wenn wir bereit sind, durch sie hindurchzugehen.)

Offen zu lieben ist keine Garantie für Glück, aber es ist eine Chance auf authentisches Lieben.

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