Interview: Von der Monogamie zur Polyamorie – Meine Frau und Ich + 3

Andre ist 41 Jahre alt und polyamor. Ich durfte mir die inspirierende Geschichte von Andres Weg in die Polyamorie aus erster Hand erzählen lassen. Außerdem teilte er seine Erfahrungen über seinen ersten “Polyurlaub” bestehend aus 5 Erwachsenen und 4 Kindern mit mir und erklärt Regeln, Herausforderungen und Details aus seinem polyamoren Leben.

Ich darf seine wunderschöne Geschichte voller Selbsterkenntnisse und Erfahrungen hier mit euch teilen.

Polyamorie als alternatives Beziehungsmodell. Mehr als einen Menschen lieben.

*Hinweis: Größtenteils wurde der Bericht durch Andre selbst verfasst. Durch mich erfolgt eine Erhöhung der Lesbarkeit, Einführung eines roten Fadens, kleine Verbesserungen sowie das Einfügen von Zwischenüberschriften.

Die Zweifel an der Monogamie

Mit 17 Jahren hatte ich meine erste Beziehung. Völlig monogam, wie die meisten Menschen. Die Polyamorie war zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema. Mir kamen jedoch bald die ersten Gedanken darüber, wie es wäre, wirklich ein Leben lang mit meiner Freundin zusammen zu sein. Wir liebten uns und ich fand den Gedanken prinzipiell gut. 

Jedoch merkte ich zunehmend, dass mich andere Frauen rein optisch sehr interessierten. Ich hatte ein wenig Bedenken, sexuell etwas verpassen zu können. Mir fehlte die Aufregung über den ersten Kuss, den ersten Sex, das ganze Kennenlernen und Erkunden. Meine Freundin und ich haben viel ausprobiert und wir waren beide glücklich mit unserem Sexleben. Aber es fehlte etwas, was mir meine Partnerin nicht hätte geben können.

Die erste offene Beziehung

Relativ unbekümmert erzählte ich meiner Freundin von meinen Gedanken. Sie konnte es nachvollziehen und wir einigten uns darauf, unsere Beziehung sexuell zu öffnen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir 3 Jahre zusammen.

Die ersten Swinger-Erfahrungen

Ich lernte in der Zeit eine hübsche Studentin kennen, die mich in die Swingerbar “Möchtegern” mitnahm. Vollkommen überwältigt von der neuen Welt, den neuen Gefühlen und Erlebnissen, stellte ich auch meine Beziehung in Frage. Ich entwickelte Gefühle für die Studentin und suchte Fehler bei meiner Freundin. 

Letztendlich trennte ich mich von ihr und erzählte der Studentin davon. Das war auch der letzte Abend, an dem ich sie sah. Sie vermutete wohl, ich könnte nun mehr von ihr wollen.

Affären, Erfahrungen und Erkenntnisse

Es folgte ein Jahr, in dem ich mich austobte. 

Ich hatte in der Zeit zwei parallel laufende Affären, die nicht ganz ohne Gefühle abliefen, wenngleich ich da nicht von Liebe sprechen würde.

In der folgenden längeren Beziehung von vier Jahren war ich das erste und einzige Mal untreu. Ich hatte eine Affäre über einen längeren Zeitraum mit nur einer Person. Allerdings machte ich meine Gefühle und Bedürfnisse bis zu diesem Punkt noch mit mir allein aus, anstatt sie mit meiner Partnerin zu besprechen. 

Ich denke, dass hier bereits die ersten Anzeichen bestanden, dass die Monogamie nicht zu mir passt und ich polyamor bin.

Meine Frau, Ich und die Sache mit der Monogamie

Mit 27 Jahren habe ich meine Frau kennengelernt. Wir haben in der Anfangszeit viel von unserer Vergangenheit erzählt. Dabei erwähnte ich auch meine Erfahrungen aus der Swingerbar. Ich sagte ihr, dass ich mir eine offene Beziehung und Besuche im Swingerclub vorstellen könnte. Sie war dem generell nicht abgeneigt, hatte aber auch erstmal keine Ambitionen, das ein oder andere auszuprobieren. Im Laufe der Jahre war dies dann immer mal wieder Thema, aber es wurde nie konkreter. Meine Hoffnung, dass wir es wirklich umsetzen, wurde ebenfalls immer kleiner. Ich konnte mir vorstellen, mit dieser Frau den Rest meines Lebens zu verbringen, auch wenn ich Kompromisse machen musste. Heute wäre dieser Kompromiss undenkbar für mich.

5 Jahre später waren wir bereits verheiratet und hatten unser erstes Kind. Später sollte ein zweites folgen. Aus heiterem Himmel fragte mich meine Frau, ob ich immernoch in einen Swingerclub möchte und Interesse an Sex mit anderen Personen habe. Ich war natürlich sofort Feuer und Flamme.

Swingerclubs, offene Beziehung und noch mehr

Wir erkundigten uns gemeinsam im Internet über Swingerclubs und besprachen Regeln sowie NoGo’s. Es begann eine Zeit von ca. 6 Jahren, in denen wir regelmäßig in Swingerclubs unterwegs waren und uns außerdem auch einzeln mit anderen Personen trafen. 

Irgendwann bei einer Autofahrt kam von mir dann die Frage: “Was ist, wenn sich mal einer von uns in jemand anderes verliebt?”. Meine Frau sagte nur: „Dann ist das so. Das können wir nicht beeinflussen. „Wir werden dann Wege finden.”

Die zweite Frau

Ich lernte dann tatsächlich eine Frau kennen, in die ich mich verliebte. Sie war eigentlich eine monogam denkende Single-Frau. Die Gefühle wurden immer intensiver und wir genossen die Zeit. Es lag nun an ihr, ob sie sich eine Beziehung mit mir vorstellen konnte, auch wenn sie mich nicht für sich alleine hat. Hierüber wusste sie von Anfang an Bescheid. Das Go von meiner Frau hatten wir.

Polyamores Leben

Im August 2019 war es soweit. Ich war gerade 37 Jahre und führte meine erste polyamore Beziehung. 

Kurz darauf hatte meine Frau ebenfalls einen neuen Partner. Dieser brachte wiederum selbst noch seine erste Frau und ein Kind mit in die Beziehung.

Nun waren wir also eine Poly-Patchwork-Familie, bestehend aus fünf Erwachsenen und drei Kindern. Bis zur Geburt des Jüngsten. Das Kind von dem Freund meiner Frau und seiner Frau.

Die Beziehungskonstellation

Ich führte also Beziehungen mit meiner Frau und meiner neuen Freundin.

Meine Frau bildete sowas wie das Zentrum der Familie. Sie hatte eine Beziehung mit mir und ihrem Freund. Außerdem war sie kurzzeitig auch noch fest mit der Ehefrau von ihrem Freund zusammen. Sie haben demnach kurzzeitig eine Dreiecksbeziehung geführt.

Meine Freundin war ausschließlich mit mir zusammen.

Meine Frau und ihr Freund versuchten ein paar Mal, meine Freundin in ihr Liebesleben mit einzubeziehen, beziehungsweise sie zu verführen. Natürlich mit meinem Einverständnis. Als es ihr zu intim wurde, brach sie mehrmals ab. Sie bekam ein schlechtes Gewissen mir gegenüber. 

Heute geht sie damit besser um und hat auch eine Freundschaft Plus neben unserer Beziehung. 

Damals unternahmen meine Freundin, meine Frau und Ich einmal den Versuch eines Dreiers. Leider endete dieser Versuch mit meiner total am Boden zerstörten Freundin. Sie kann es bis heute nicht ertragen, mich mit einer anderen Frau in Aktion zu sehen. Trotzdem gibt sie mir meine Freiheit, in der ich meinen Wünschen nachgehen kann.

Neue Regeln, neue Strukturen

Zu Beginn dieses Lebensmodels mussten wir neue Regeln und neue Tagesabläufe aufstellen. All das baute sich Stück für Stück auf. Uns hilft heute noch eine Kalender-App, in der alle Personen Zugriff und Einsicht haben. Teilweise befinden sich dort über 10 Termine an einem Tag drin.

Dieses Modell ist extrem aufwändig, stressig und zeitintensiv. Persönliche Freizeit empfinde ich dabei als sehr wichtig, die sich jeder von Zeit zu Zeit gönnt.

An ausgewählten Tagen in der Woche war meine Freundin bei mir und meiner Frau zu Besuch. Inklusive Übernachtungen. Meine Frau wiederum verbrachte auch Tage bei ihrem Freund. 

Poly-Urlaub zu neunt

Im Juli 2021 fuhren wir als große gemeinsame Poly-Patchwork-Familie mit zwei Autos in den Urlaub an die polnische Ostsee. Aufgrund von Urlaubsüberschneidungen konnten wir leider nur 4 Tage fahren.

Wir mieteten uns ein Haus mit 5 Schlafzimmern, das für 12 Personen ausgelegt war.

Meine Frau teilte sich ein Zimmer mit ihrem Freund.
Seine Frau war mit ihrem ca 9 Monate alten Baby in einem Zimmer. Deren damals 14 jährige Tochter war alleine in einem Zimmer.
Ich teilte mir das Zimmer mit meiner Freundin.
Meine beiden Kids waren zusammen in einem Zimmer.

Geplant war, dass der Freund meiner Frau für eine Nacht zu seiner ersten Frau ins Zimmer wechselt. Ich hätte dann bei meiner Frau geschlafen und meine Freundin wäre die Nacht alleine geblieben. Da wir abends aber alle ziemlich müde und fertig waren, hatte niemand Lust auf einen Bettenwechsel. 

Da wir auch keine Dreiecksbeziehungen oder Freundschaft Plus untereinander führten, war die Aufteilung gerade im gemeinsamen Urlaub sehr klar.

Sämtliche Kosten für das Haus oder die Verpflegung wurden durch 5 geteilt. Was auch für meine Freundin, die keine Kinder dabei hatte, in Ordnung war. Als Ausgleich brauchte sie sich nicht an den Spritkosten beteiligen.

Morgens besprachen wir alle gemeinsam die Tagesaktivitäten. Bis auf zwei Ausnahmen waren wir uns immer einig. An einem Tag wollte die andere Ehefrau mit ihrem Baby im Haus bleiben, weil es draußen so warm war. Am Abreisetag ist meine Frau mit ihr und ihrem Freund und dessen Kindern schon früher Richtung Heimat gefahren. Meine Freundin, meine Kinder und ich sind nochmal am Strand gewesen.

Letztendlich war es wie ein Urlaub  mit einer großen Familie oder Freunden. Viel Erotik gab es hier nicht, da wir mit den Kindern viel unternommen haben und am Abend alle sehr müde ins Bett fielen.

Polyamorie als sexuelle Ausrichtung

Jeder Teil dieser Familie beansprucht zu Recht auch eine gewisse Zeit im Leben des anderen. Da unser Modell in drei Haushalten abläuft, haben wir hier auch eine gewisse Grenze erreicht. 

Trotzdem werde ich immer polyamor bleiben. Das ist für mich wie eine sexuelle Ausrichtung. Es sucht sich auch keiner aus ob er hetero, bi, homosexuell oder was auch immer ist. Ich hoffe, dass es für mich immer die Möglichkeit geben wird, in einer polyamoren Beziehung zu leben, wenn mir mal wieder zwei Frauen den Kopf verdrehen. Dazu muss ich sagen, dass meine Frau und ich nicht mehr zusammen sind. Ich bin aktuell nur noch mit meiner Freundin zusammen. 

Was ich mir noch sehr gut vorstellen kann, wäre eine Dreiecks Beziehung mit zwei Frauen. Aber da gehen wohl meine Männerfantasien mit mir durch.

Weitere Fragen

Ich habe Andre außerdem noch ein paar weiterführende Fragen gestellt. Vielleicht ist eine dabei, die du dir ebenfalls gestellt hast. Sollte etwas offen bleiben, schreib mir gerne oder kommentiere den Beitrag. Ich bin sicher, dass wir für dich eine Antwort bekommen werden.

  • Warst du jemals eifersüchtig in dieser Beziehung?

Nein. Meine Frau und ich waren beide nicht eifersüchtig. Wir haben darüber gesprochen, worauf wir uns einlassen. Meine Frau sagte sogar, ich solle die zweite Frau mit ihr auf eine Stufe stellen. Sie wollte, dass wir alle gleichberechtigt in unserer Beziehung sind. 

Meine Freundin wiederum kennt durchaus auch Eifersucht. Sie kann nicht damit umgehen, wenn sie mich mit einer anderen Frau in Aktion sieht. Doch solange sie nicht dabei ist, lässt sie mir meine Freiräume.

  • Hast du eine von beiden Frauen mehr geliebt als die andere?

Ich habe für beide Frauen gleichermaßen aufrichtige Liebe empfunden. Natürlich waren die Beziehungen zu beiden Frauen dennoch verschieden. Kinder heben eine Beziehung auch nochmal auf eine andere Stufe, weshalb ich mich immer für meine Frau und Kinder entschieden hätte. Doch das ändert nichts an der Liebe für beide Frauen selbst.

  • Welchen Rat würdest du Paaren geben, in denen sich einer von beiden in eine weitere Person verliebt hat?

Auf jeden Fall sollte der Part, der sich verliebt hat, die Sache nicht mit sich selbst ausmachen. Redet unbedingt miteinander und sucht gemeinsam nach einer Lösung. Menschen tendieren dazu zu denken, sie müssten sich entscheiden. In manchen Fällen ist das vielleicht auch der einzige oder der richtige Weg. In anderen Fällen kann die Beziehung allerdings durch Kommunikation und Offenheit gerettet werden.

Ich will es so erklären: Wenn ich jemanden frage, ob er Lust hat auch mal fremde Haut zu spüren, dann sagt die gefragte Person immer “Ja”. Ich finde es wichtig, sich einfach selbst zu reflektieren und dem Partner auch genau das zuzugestehen, was ich mir selber wünschen würde. 

  • Was war eine kuriose oder witzige Erfahrung in Bezug auf dein nicht monogames Leben?

Meine Frau und ich lernten einmal ein nettes Pärchen im Swingerclub kennen. Wir haben uns alle prächtig vergnügt und verließen den Club letztendlich sogar gemeinsam. Sie sagten uns, dass ihnen der Abend sehr gefallen hat und sie sich freuen würden uns wiederzusehen. Wir waren da einer Meinung und gaben diesen Wunsch zurück.

Soweit so gut. Jetzt sagte einer der beiden noch etwas zurückhaltend, dass sie uns noch etwas sagen müssten, denn sie seien kein klassisches Pärchen. Meine Frau und ich sahen uns an und dachten uns nichts dabei. Ob sie nun ein Paar sind, eine Freundschaft Plus führen oder was auch immer für eine Art von Beziehung war für uns nicht relevant. Was sie dann allerdings sagten, war durchaus überraschend, denn sie outeten sich als Schwager und Schwägerin. Der Mann der beiden war also der Bruder von ihrem Ehemann. Er und die andere Frau wussten letztendlich nichts von den Abenteuern ihrer Ehepartner.

Auch wenn das sicherlich nicht optimal ist, war das nicht unsere Angelegenheit und störte uns demnach nicht.

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